Den Leser zu fesseln und zu überraschen – das gehört zum Grundhandwerk eines Autors. Doch wie kann man spannende Wendungen schreiben? Es braucht eine Erwartungshaltung beim Leser und die Fähigkeit des Autors, diese zu erkennen und glaubwürdig zu brechen.

 

Erwartungshaltung erkennen

Nicht immer muss man erst eine Erwartungshaltung aufbauen. In bestimmten Situation ist diese nämlich bereits vorhanden. Zum Beispiel weiß jeder Mensch, dass ein Stein wieder zu Boden fällt, wenn man ihn hochwirft. Wird dieser plötzlich in der Luft von einem Vogel verschluckt, dann kann das durchaus überraschen. Doch ist das glaubwürdig? Dazu gleich mehr.

Es gilt, die Erwartungshaltungen von Menschen in bestimmten Situationen zu erkennen und dann zu brechen – ähnlich wie bei Witzen. In unserem Fall nutzen wir das Element der Überraschung aber eher für den großen Wendepunkt in einer Heldengeschichte oder die finale Enthüllung des geheimnisvollen Antagonisten.

Das Erkennen einer Erwartungshaltung kann allerdings schwierig sein, denn nicht jeder Mensch denkt gleich. Es geht hierbei darum, dass du die Mehrheit und insbesondere deine Zielgruppe richtig einschätzen kannst.

Ein Erwartungshaltung kann übrigens auch bedeuten, dass der Leser „nichts“ erwartet. Dieser Ansatz ist aber mit Vorsicht zu verfolgen, da er bei häufigem Einsatz, nicht selten, als „etwas unschön“ wahrgenommen werden kann. Zu den subtileren Methoden kommen wir gleich.

 

Erwartungshaltung aufbauen

Die sichere, aber auch schwierigere Methode ist, eine Erwartungshaltung aktiv im Kopf des Lesers aufzubauen. Das heißt nicht, dass man den Leser anlügt, ihm absichtlich falsche Informationen gibt oder im großen Finale plötzlich alles über den Haufen wirft. Das kann nämlich unheimlich frustrierend sein und wird eher selten als eine wirklich spannende Wendung wahrgenommen.

Es geht darum, dass man dem Leser nicht alle Teile des Puzzles gibt, einige Informationen als Hinweise versteckt und es beim Enthüllen der entscheidenden Informationen zu einem „Aha!“ kommen kann. Dein Buch muss kein Rätselspiel werden, aber die Wendung sollte im Nachhinein nachvollziehbar sein. Besonders schön ist es, wenn man beim erneuten Lesen des Buches, noch mehr Hinweise und Hintergründe erkennt.

Ich persönlich rate allerdings von zu viel „foreshadowing“ (Vorausdeutung) ab. Wenn der Erzähler in jedem Kapitel zweimal den Satz sagt „Das würde er später noch bereuen.“ oder „Wäre er nur drei Meter nach rechts gegangen, dann […]“, dann kann das echt nerven. Natürlich ist es nicht unüblich solche Stilmittel zu benutzen, aber vielleicht versteckt man die Informationen lieber in der Beschreibung der Umgebung, heimlichen Gesprächen oder einem anderen Hinweis. Dann kann das „Rätseln“ Spaß machen und wer nicht rätseln möchte, der ignoriert die Hinweise einfach.

Wichtig ist nur, dass die Hinweise dem Leser nicht aufs Auge gedrückt werden. Platziere sie lieber nebensächlich in der Beschreibung der Welt, anstatt sie in den Fokus der Erzählung zu rücken, solange sie nicht essenziell wichtig sind.

Natürlich, darf man gerne von dieser Methode abweichen. Schließlich gibt es unzählige Arten, wie man eine Erwartungshaltung aufbauen kann und nicht jede Erwartungshaltung muss gebrochen werden, damit das Buch gut wird. Beispielsweise erwartet der Leser mit ziemlicher Sicherheit, dass nicht die Hälfte der Seiten deines Buches leer sind. Ebenfalls möchte ich, in den meisten Fällen, davon abraten, inmitten der Geschichte die Sprache der Erzählung zu ändern.

„Die Legende von Kados“ ist aus der Ich-Perspektive des Protagonisten geschrieben. Dieser hat selbst eine Erwartungshaltung, die sich teilweise auf den Leser überträgt, solange seine Gedankengänge nachvollziehbar sind. Wenn also der Protagonist überrascht wird, dann ist es der Leser bestenfalls auch.

Weil die Geschichte nur aus der Sicht des Protagonisten und in einem relativ hohen Tempo erzählt wird, ist die Schlagzahl der kleinen und großen Wendungen vergleichsweise hoch. Das hilft dem Lesefluss, aber manchmal habe ich die Sorge, dass deshalb einige Hinweise der reichhaltigen Hintergrundgeschichte verloren gehen. Es gibt also keinen perfekten Weg. Du musst einen passenden Methoden-Mix für dich und dein Buch finden.

In einer magischen Welt legst du die Regeln selbst fest. Vergiss nicht, frühzeitig mögliche Wendungen vorzubereiten und nicht einfach die selbst eingeführten Regeln im Laufe der Geschichte zu ändern, nur damit eine Wendung geschehen kann. Über das Erschaffen einer Welt habe ich bereits geschrieben.

 

Erwartungshaltung brechen

Jetzt kennen wir die Erwartungshaltung und können sie brechen. Geheimnisse werden enthüllt, Informationen richtiggestellt, die Hintergrundgeschichte vervollständigt oder der Antagonist überraschenderweise vorzeitig ausgeschaltet.

Doch hier kommen wir zum, meiner Meinung nach, wichtigsten Punkt. Die Wendung muss Sinn ergeben und möglichst kurz verständlich dargestellt werden. Du möchtest schließlich, dass deine Wendung hochwertig wirkt und nicht als „billig herbeigezaubert“ wahrgenommen wird.

Vor allem bei großen, maßgeblichen Wendungen ist es wichtig, dass jetzt das etwaige „foreshadowing“ realisiert wird. Vielleicht reichen einige Worte bereits aus, um die Tragweite und Sinnhaftigkeit der Wendung zu etablieren. Vielleicht braucht es auch einige Sätze. Wenn die Erklärungen allerdings überhandnehmen, dann wird aus einer spannenden Wendung schnell ein langweiliger Vortrag darüber, wie alles zustande kam.

Es ist nicht falsch, wenn nach der Wendung noch über diese gesprochen und die Tragweite von den Charakteren ausgebreitet und analysiert wird. Aber der Grundgedanke sollte dem Leser schnellstmöglich ersichtig sein, damit es bei ihm auch wirklich zu Emotionen und dem gewünschten „Aha!“ oder „Wow!“ kommt. Falls man das noch nicht erreicht, dann hat man drei Angriffspunkte: die Erzählung der Wendung anpassen, das „foreshadowing“ verbessern oder die Wendung an sich ändern.

Keine Sorge, beinahe jeder kommt gelegentlich an so einen Punkt und es ist gut, wenn man sich das eingesteht. Dann kann man die eigene Geschichte verbessern und hinterher umso zufriedener sein. Denn der Schreibprozess ist, in der Regel, sehr iterativ. Das heißt, dass man das Geschriebene immer weiter raffiniert. Über die einzelnen Schritte der Buch-Korrektur kannst du in diesem Beitrag lesen. Lasse dich gerne, durch meinen Newsletter, über die neusten Beiträge informieren. Außerdem kannst du so die ersten 100 Seiten meines ersten Buches kostenfrei herunterladen.

Bei Büchern, Spielen, Serien und Filmen mag ich es, wenn auf eine größere Wendung, eine Actionszene folgt, die mit der Wendung im Zusammenhang steht. Ich hoffe, dass der Leser dadurch tiefer in die emotionale Lage der Figuren eintauchen kann und von der Schwere der Situation wirklich mitgerissen wird. Natürlich ist das keine Blaupause, die ich immer anwende, aber ein Konzept, dass ich persönlich sehr mag. Hinterher kann das Geschehene dann in einer Ruhepause verarbeitet und von den Charakteren aufgearbeitet werden.

 

Die Wendung als Kern der Geschichte

Eine nachvollziehbare Wendung wird übrigens nahezu niemals jedermann überraschen. Einige werden deine Hinweise richtig interpretieren oder zumindest zutreffende Vermutungen anstellen. Doch das ist nicht schlimm. Denn wenn die Wendung Sinn ergibt und sie eventuell auch einige Fragen auflöst, dann ist die Befriedigung für den Leser umso größer.

Falls du Angst davor hast, dass deine Wendung schon zu früh ersichtlich ist und deine Geschichte dadurch den Reiz verliert, dann ist diese vielleicht noch steigerungsfähig. Schließlich soll der Weg das Ziel sein und dein Buch vermutlich nicht nur auf einer einzigen Wendung fußen. Mit vielen verschiedenen kleinen Wendungen, Rückschlägen, Siegen, ansprechenden Dialogen und einer guten Charakterentwicklung überzeugst du letztendlich viel mehr Leute, als mit einer einzigen Wendung am Ende des Buches.

Achte deshalb immer darauf, dass dein Buch nicht nur auf eine einzige Wendung hinarbeitet, sondern auch der Weg ein wichtiger Bestandteil des Buches ist. Diese alles entscheidende Wendung kann natürlich im großen Finale stattfinden oder inmitten der Charakterentwicklung der Hauptfigur, aber verwende auch etwas deiner Zeit auf alles, was zu dieser Wendung hinführt und möglicherweise nach ihr kommt. So (und natürlich auch abweichend von meinen Empfehlungen) kannst du ein wirklich tolles Werk schaffen.

Denn eine Wendung, so klein oder groß sie sein mag, ist nur wirklich spannend, wenn man sich für die Charaktere und die Welt, in der sie sich bewegen, interessiert.

 

Ich hoffe meine Tipps helfen dir bei deinem Buchprojekt weiter. Solltest du noch Fragen oder einen Themenwunsch haben, dann schreibe mir an frage@kados.media oder bei Social Media (@stubenvogel).

Ich wünsche viel Spaß beim Lesen und Schreiben!

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Medienschaffender und Autor der Buchreihe "Die Legende von Kados" sowie der Beiträge dieser Website.